Die Hexe

Die Hexe - eine Erinnerung an religiösen Irrsinn und gesellschaftliche GewaltSie zitterte. Die Gewölbe waren feucht und kalt, und man hatte ihr Nichts gegeben mit dem sie ihre Blöße hätte bedecken können. Die Geräusche waren schrecklich, wie sie klirrend und dumpf durch dass dunkle Verlies hallten. Geräusche bedeuteten in dieser Welt der Schatten und Schreien kommenden Schmerz und Verzweiflung.

Sie wälzte sich, von Furcht und Kälte erfüllt auf ihrem Lager aus nassen, schmutzigem Stroh zur Wand hin. Es war kalt im Winter des Jahres 1463, aber die Kälte und die Geräusche die in der Dunkelheit an ihr Ohr drangen, waren nicht das Schlimmste. Viel schlimmer waren die Demütigungen und die Folter die sie ertragen musste und die Ungewissheit wie lange es noch dauern würde. Über ihr Ende machte sie sich keine Illusionen. Zu oft wurde sie schon Zeuge des grausamen Schauspiels, welches von den Jubelrufen der Bürger begleitet wurde. Zu oft hatte sie erlebt wie Freunde sich abwandten wenn der Glaube wieder zuschlug.

Es war vier Tage her als die Männer mit den Waffen gemeinsam mit den Stellvertretern der Inquisition die Türe zu ihrer kleinen maroden Hütte im Wald aufgebrochen, und sie unter Schlägen und Tritten nach draußen befördert hatten. Es war einer der ruhigen, besinnlichen Momente – sie saß auf ihren ungeschlachten Möbeln und lauschte dem Wispern des Windes. Hörte zu wie er durch die Bäume brach und um ihre Hütte spielte als sie sie holen kamen. Sie musste hilflos zusehen als sie ihr Hab und Gut durchwühlten, was sie als wertvoll erachteten mitnahmen und den Rest samt Haus anzündeten. Eine Vergangenheit die in Rauch aufging. Nichts würde man mehr von ihr finden. Und sie war noch hilfloser als die Schergen sie gefesselt vor den hohen Mann zerrten. All ihr Betteln, Flehen und Weinen schien die Wut der Männer nur zu befeuern.

Nun lag sie hier, auf einer dünnen und dreckigen Strohschicht, gedemütigt und gefoltert – ohne Hoffnungen…

Als sie die Augen schloss, kamen die Erinnerungen an jene, nun so fern wirkende Zeit: Als sie sicher und geborgen in ihrer schäbigen Hütte saß, der Natur lauschte, ihre Kräuter trocknete und verarbeitete und als hin und wieder jemand hilfesuchend zu ihr kam, wenn die Medizin und Gebete der Kirche versagten. Sie lebte alleine, etwas Abseits des Dorfes und kaum jemand kannte sie wirklich – sie war eine Außenseiterin seit ihr Mann vor einigen Jahren gestorben war.

Und einen neuen Partner finden, oder gar Freunde? Undenkbar. Das war etwas das sie schon lange aufgegeben hatte, denn sie war ein Mensch den nur eine Mutter lieben konnte: Ihr linkes Bein war nach einem Unfall verkrüppelt und sie hinkte. Auch hatte sie eine lange Narbe im Gesicht. Eine Erinnerung an die Nacht in der sie ihrem Herrn nicht zu gefallen sein wollte. Aber die Einsamkeit war sie gewohnt. Als Kind wurde sie von den Leuten gemieden, als Wechselbalg bezeichnet und verjagt wenn sie mit den anderen Kindern spielen wollte. Immerhin, sie war ein Bastard. Kannte ihren Vater nicht und die Mutter hatte sie auch eher als Nebensache betrachtet.

Nachdem ihr alter Herr sie wegen ihres Unwillens halb totgeschlagen hatte, war sie weggelaufen. Die klapprige Hütte hatte sie gemeinsam mit ihrem Mann, den sie während ihrer Flucht kennen lernte, aufgebaut und über die Jahre bewohnt. Sie lebten ein friedliches Leben. Nahmen dass was der Wald ihnen gab und bestellten ein kleines Feld hinter dem Haus. Es war nicht viel, aber sie mussten nie besonders viel hungern.

Verletzungen, Fieber und Schmerzen lernten sie mit den Kräutern und Pflanzen zu kurieren, die sie sammelten und trockneten, und mit der Zeit sprach sich herum dass dort eine Kräuterkundige lebte und helfen konnte, wenn alles Andere versagte. Ein Wissen von welchem sie in den letzten Wochen sehr oft Gebrauch machte, denn es kamen sehr viele Kranke zu ihr. Manchen konnte sie helfen, anderen nicht, aber sie hatte es immer versucht und nie etwas gefordert.

“Hexe!”!

Keine Erklärung was ihr vorgeworfen wurde, oder wer ihr dies unterstellte, keine Möglichkeit dem zu widersprechen. Alleine dieses eine Wort war Anklage, Urteil und grausames Schicksal zu gleich.

Schon seit Wochen waren in den Dörfern Menschen gestorben. Viele Menschen. Trotz aller Gebete, all des verbrannten Weihrauchs und all der Versprechen der Kirche. Es war eine schreckliche Zeit, und irgendwer musste dafür verantwortlich sein. Das Volk wollte Taten sehen, und wer lag da näher als eine einsame alte Frau die in einer zugigen Hütte lebte, und die niemand wirklich kannte?

Es kam wie es kommen musste. Eine Delegation der Inquisition war zufällig eingetroffen und der hohe Herr untersuchte die Fälle persönlich. Hörte sich die Aussagen der Angehörigen an, vernahm die Bewohner der Ortschaft und irgendwann fiel ihr Name und das was sie tat. Seine Logik war unumstößlich, wie auch sein Wort: “Nur Gott ist in der Lage zu heilen und jene Zauberer die mit dem Teufel im Bunde sind! Seht eure Toten – das ist der Preis dafür!“.

Sie war eine Hexe, eine die mit dem Teufel verkehrte. Vor dem hohen Herren durfte sie sich nicht zu den Anschuldigungen äußern. Sie durfte ja nicht einmal den Blick heben, weil diese Feiglinge Angst hatten verflucht zu werden. Alles was sie taten, sie warfen ihr schreckliche Dinge vor die sie nie begangen hatte: Den Bock auf den Arsch geküsst, verkehr mit dem Teufel gehabt und an Zeremonien teilgenommen in welchen das Fleisch kleiner Kinder verspeist wurde. Auch wurde sie beschuldigt das Dorf verflucht und etliche Bewohner durch diesen Fluch getötet zu haben. Als der Inquisitor sie fragte ob sie geständig sei und sie dies verneinte, traf sie ein Schlag zwischen die Schulterblätter und sie ging wimmernd zu Boden. Der fromme Mann fragte sie noch zwei weitere Male ob sie ihre Untaten gestehen wolle, danach führte man sie in den Keller …

“Gestehe Hexe – rette deine Seele, dass sie nicht ins ewige Fegefeuer fahren wird!”.

Die Stimme war laut und befehlsgewohnt. Es war bizarr, die Männer mit den Kreuzen standen direkt neben ihr. Jene Männer die gerne von Christentum und Gottesliebe predigten, doch hier? Hier waren sie blutrünstige Ausgeburten aus den tiefsten Kreisen der Hölle! Einer der Männer nickte und der Knecht der sie gefesselt und vorbereitet hatte, zog die Fesseln strammer, drehte die Schrauben enger und drückte das glühende Eisen auf ihre Haut.

Der Stellvertreter der Liebe Gottes nickte und Schmerzen durchschossen ihren Körper bis ganz tief in ihre Seele. “Gestehe deine Schandtaten, Hexe und Gott wird dir vergeben!” – der Schmerz war unglaublich aber sie weigerte sich derartige Greuel zu gestehen. Sie hatte nichts getan, sie hatte geholfen ohne zu fordern – und wo war Gottes Dank oder gar sein Schutz?

Der Mann mit dem Kreuz nickte erneut und der Knecht brach ihr die Finger, riss ihr die Nägel heraus und zog andere Fesseln und Schrauben nach. Er war ein Meister seines Faches, der Schmerz kam und blieb, doch die Ohnmacht die auf diesen Schmerz folgen sollte, wusste er zu verhindern; Kaltes Wasser, Ohrfeigen, Schütteln, an den Beinen aufhängen – nein, die Ohnmacht blieb ihr verwehrt und irgendwann gab sie dem Schmerz nach, gestand alles was der Priester hören wollte. Sollte sie doch sterben! Die Folter hatte sie innerlich bereits getötet.

Ja! Sie hatte mit dem Teufel verkehrt und ja, sie hat dem Ziegenbock den Arsch geküsste und die Feste! Was für Feste das waren! Da gab es alles – gebratene Säuglinge, Orgien mit allen Altersklassen, Hostien wurden mit Fäkalien beschmiert und Gott wurde gelästert wo es nur ging! Der Papst? Ja natürlich, auch den Papst verfluchten sie dort ebenso wie seine Eminenz und sämtliche Diener Gottes…

Sie Gestand in dieser Nacht alles was der Mann mit dem Kreuz von ihr hören wollte, und er schaute sie bei jedem Wort lüstern an. Dann sagte er Namen auf. Namen der Personen die der örtlichen Geistigkeit ein Dorn im Auge waren. Weil sie zuviel Land besaßen, nicht regelmäßig in die Kirche gingen, oder nicht spendabel genug waren. Auch wurden Namen von Frauen aufgezählt die sie nie gehört hatte, so wie sie die meisten der Namen nicht kannte, die sich der Geistlichkeit ebenfalls verweigert hatten. Es war ihr einerlei. Sie wollte nur noch dass es aufhörte.

Nun lag sie gebrochen und schluchzend in ihrer Zelle. Ein Häufchen Elend das auf den Tod wartete und alles was ihr in dieser letzten Nacht auf Erden blieb waren Schmerz, Scham und Verzweiflung. Und das leise Flüstern des Windes der die Gitter ihrer Zelle umstrich. Ihr alter Freund, der Wind der sonst dass Raunen in den Blättern war, und der ihr im Schlaf kleine Freundlichkeiten zugeflüstert hatte.

Der gute alte Wind. Es war nur ein kleiner Trost, aber es war in dieser Dunkelheit der Seele immer noch ein kleines Licht welches in ihr brannte.

Da lag sie, gebrochen am Leib, gebrochen in der Seele, einzig darauf wartend das die Nacht und der Schmerz im frühen Morgengrauen mit dem Feuer ausgelöscht und ihre Asche mit jenem Winde verweht werden würden, der sie in dieser letzten grausamen Nacht tröstete …

Das Dorf stand versammelt um die Scheiterhaufen, lachte, feixte und jaulte – endlich war die Gefahr gebannt. Keiner würde mehr sterben! Die heiligen Männer hatten die Hexe dingfest gemacht und sie hatte alles gestanden.

Nicht wenige der lachenden Gesichter waren der Hexe bekannt – da war Jakob, der Schmied, Jonas der Bauer und Maria die mit ihren kranken Kindern manchmal zu ihr gekommen war, da waren so viele die sie kannte, denen sie geholfen hatte. Einige schwiegen, aber die meisten freuten sich dass nun das Sterben endlich aufhören würde. Sie stand gefesselt an den Balken, unter ihr das Holz und der Reiser für ihren Feuertod und vor ihr die grölende, dumme Menge die sich ihrer Hilfe bedient hatte, sie nun aber diesen Monstern opferte …

Ein Wind umblies sie und jene Anderen, die durch ihre erzwungenen Aussagen ebenfalls auf Scheiterhaufen standen und die dort flehten und bettelten. Ein Flehen und Klagen welches von den gleichgültigen Ohren grausamer Henker als Belustigung aufgefasst wurde.

Es war ein für den Winter erfreulich warmer Wind, der sie da umwehte. Er erinnerte sie an den Frühling und er trug Gerüche mit sich sich die sie nicht einordnen konnte. Sie wusste, es würde der letzte Wind sein den sie in diesem Leben erfahren würde.

Es war ein kalter Wintermorgen des Jahres 1463 als man die Feuer entzündete und ein eisig kalter Wind die Schmerzensschreie und die Asche der Unschuldigen forttrug und die Zuschauer frösteln ließ.

Die Inquisition zog weiter, zum nächsten Ort – in der Gewissheit dass der Fluch nun gebrochen sei und niemand mehr der unheimlichen Seuche zum Opfer fallen würde. Die Hexe war tot, und ihre Mithäscher auch. Dennoch blieb der Fluch und wurde, nun da niemand mehr um die Heilkraft der Kräuter Bescheid wusste, schlimmer als zuvor.

Als erste starben jene Kinder die bereits vor ihrer Hinrichtung schwach und krank waren. Die Kinder denen sie mit ihrer Medizin hatte helfen können. Danach folgten sehr viele ihre Lieben ins Grab.

Und es strich ein kalter Wind über die Felder voller Kreuze, doch sein Singen vernahmen nur jene die den Tod der Unschuldigen nicht belacht hatten. Für alle Anderen war er nur der Grabeswind der die Pest verbreitete …

Dieser Beitrag wurde unter Gedichte & Geschichten abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert